Was jedes Kind bereits im Straßenverkehr beachtet, hilft uns auch in der Luft …aber bekanntlich werden die Dinge mit zunehmenden Dimensionen immer komplexer.
So haben wir trotz FLARM und Haubenblitzer, Hindernisdatenbanken und genauester GPS-Position immer noch viel zu viele Zusammenstöße – meist mit tödlichem Ausgang – zu beklagen.
FLARM hilft sofern es alle haben!
Wie nahezu in jedem Artikel in dieser Serie festzustellen ist, ist nicht selten schlicht Unkenntnis der Anfang eines fatalen Endes. Denn wer nicht weiß, wohin auszuweichen ist, kann es auch nur mit Glück richtig machen. Um dem Glück nicht all zu viel zumuten zu müssen, hilft die gute alte Luftraumbeobachtung schon im beträchtlichen Maße, einem anderen Luftfahrzeug nicht all zu nahe zu kommen. Nicht umsonst ist das „see and avoid“ oder „detect and avoid“ („sehen und vermeiden“ oder „erkennen und vermeiden“) unsere Hauptaufgabe beim VFR-Fliegen.
Dass hier nicht immer alles mit rechten Dingen abläuft, belegen die drei bis vier Zusammenstöße mit vier bis fünf Toten jährlich in Deutschland. Schauen wir also noch einmal genauer hin! 10 Prozent der dokumentierten Zusam-menstöße finden unter Segelfliegern während des Thermikkreisens statt. Da heutzutage (fast) alle Segelflugzeuge mit FLARM ausgestattet sind, wissen wir meist sehr genau, dass wir nicht alleine im Bart unterwegs sind. Dazu kommen mehr und mehr Blitzer zum Einsatz, die auf uns aufmerksam machen. Und trotzdem kracht es regelmäßig. Um ein „see and avoid“ auch leben zu können, ist es eben unerlässlich, sich seinem Gegenüber auch entsprechend zu positionieren. Weder das Fliegen im „toten Winkel“, noch ein unerwartetes, extremes Hochziehen oder ein „innen Durchsteigen“ vermeidet Zusammenstöße. Will man auf engstem Raum bestehen, helfen nur Disziplin und Hinausschauen – nachzulesen in den Thermikflugregeln im segelfliegen magazin Ausgabe 01/2023.
20 Prozent aller Zusammenstöße ereignen sich im Reiseflug. Hier sind wir Segelflieger gut aufgehoben mit unserem FLARM & Co. – mag man meinen. Stimmt auch, so lange alle Luft-fahrzeuge die „gleiche Sprache sprechen“. Da aber FLARM beispielsweise nicht verpflichtend ist – und Verkehrsflugzeuge dieses System gar nicht kennen – ist die gebotene Sicher-heit oft trügerisch. Auch im Reiseflug hilft somit in erster Linie „see and avoid“, gepaart mit den richtigen Wolkenabständen. Und sollte es einmal eng werden, kommt es auf die Beachtung der Ausweichregeln in beiden Cockpits an.
Als Segelflieger beruft man sich gern auf die Regel, dass entsprechend der vorgeschriebenen Rangfolge (das wendigere Luftfahrzeug hat grundsätzlich dem weniger wendigen auszuweichen) agiert wird. Aber auch hier lauert der Teufel im Detail. Denn kommen sich zwei Flugzeuge entgegen, müssen beide nach rechts ausweichen. Dabei ist es völlig unerheblich, wie wendig die Flugzeuge sind. Im Zweifelsfall bleibt wegen der Annäherungsgeschwindigkeit nur wenig Zeit. Deshalb weichen beide Flugzeuge aus – nach RECHTS! (Bild 1)
Die Ausweichrichtung >RECHTS< wird auch beim Überholen beibehalten. Besonders einfach machen es uns die Positionsleuchten an motorgetriebenen Luftfahrzeugen. Sehen wir weiß und sind schneller, überholen wir RECHTS. Der Unterschied zum Straßenverkehr hat hier den charmanten Vorteil, dass man selbst bei schlechter Sicht nicht erkennen muss, ob es sich um Gegen- oder zu überholenden Verkehr handelt – wir weichen einfach immer nach RECHTS aus (Bild 2)! Etwas freier bei Segelflugzeugen durch SERA 3210 c 3. i geregelt : „…Ein Segelflugzeug, das ein anderes Segelflugzeug überholt, darf nach rechts oder nach links ausweichen.“ (Bild 3).
Sind wir und unser „conflicting traffic“ gleichermaßen wendig (Bild 4), wird das Vorflugrecht durch Farben gekennzeichnet: Sehe ich beim anderen Luftfahrzeug ein GRÜNES Licht darf ich WEITER-FLIEGEN, sehe ich ein ROTES Licht muss ich AUSWEICHEN!
Spannend wird es immer dann, wenn Luftfahrzeuge unterschiedlicher Klassen (mit unterschiedlicher Wendigkeit) aufeinandertreffen. Hier ist nämlich nicht nur das Luftfahrzeug selbst zu betrachten, sondern auch, ob das von Hause aus wendige Motorflugzeug z.B. etwas schleppt. Motorgetriebene Luftfahrzeuge müssen einem Schleppzug ausweichen, dieser wiederum muss einem antriebslosen Flugzeug ausweichen! Motorsegler mit stehendem Motor gelten dabei als Segelflugzeug. Formal korrekt ergibt sich somit folgende Rangfolge im Vorflugrecht (Bild 5):
Motorgetriebene Luftfahrzeuge, die schwerer als Luft sind (am wendigsten) weichen aus:
- Luftschiffen
- Segelflugzeugen, Hängegleitern und Gleitschirmen
- Ballonen (am wenigsten wendig)
Unterschiedliche Luftfahrzeuge treffen auch in der Platzrunde aufeinander – und das in 40% aller Zusammenstöße leider auch im wahrsten Sinne des Wortes. Insbesondere dort, wo Motor-flug- und Segelflugplatzrunde aufeinander treffen, gibt es die meisten Kolli-sionen! Neben klarer Sprache (segelfliegen-magazin 01/2023) und vielfältigen elektronischen Hilfsmitteln gibt es auch in der Platzrunde klare Vorflugregeln. Luftfahrzeuge im Endteil oder beim Landen haben Vorrecht, das tiefer fliegende vor dem höheren. Antriebslose Luftfahrzeuge sind jedoch immer bevorrechtigt. (Bild 6) Wobei auch hier gelten sollte: „Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei“. Können wir uns nicht sicher sein, ob mich der „andere traffic“ in Sicht hat, weiche ich aus!
Besondere Situationen erfordern zudem besondere Regeln – insbesondere bei uns Segelfliegern: Kommen sich z. B zwei Flugzeuge am Hang entgegen, hat „der rechte Flügel am Hang das Vorflugrecht“ – der Segler mit der linken Fläche am Hang muss somit ausweichen. Auch nachlesbar in den Hangflugregen! In der Thermik bestimmt das erste Flugzeug die Kreisrichtung, soweit bekannt. Das ein langsamer steigendes Flugzeug einem schneller steigendem ausweichen muss, wird gern vergessen. Gerade beim Thermikkreisen vermeidet das umsichtige Miteinander – nieder geschrieben in den Thermikflugregeln – die Eintragung in die Unfallstatistik. Denn 10 % aller Zusammenstöße finden im Aufwind statt!